Raum. Zeit. Veränderung.
Franz Rieder • Platon: Timaios (Last Update: 20.11.2019)
Denken wir noch eine Weile zurück in die griechische Philosophie. Bevor wir dem Begriff des Logos bei Aristoteles folgen, einem Logos der Rhetorik, also des aussagenden Redens, das an Kategorien gemessen und in eine argumentative, widerspruchsfreie Richtigkeit eingewiesen wurde, bleiben wir noch ein wenig bei Platon, der dieser Auffassung eines analytischen Verstandes u. E. wenig hat abgewinnen können.
Platons Timaios ist zugleich Kosmogonie und neue Erkenntnistheorie, mithin philosophische Erklärung der Welt. Der Kosmos ist demnach sinnlich wahrnehmbar, also „geworden“, dem Werden zugehörig. Wahrheit bzw. Aussagen, die absolut zutreffend sind, können über die Entstehung des Kosmos und über sein Wesen (Sein) also prinzipiell nicht getroffen werden, da Wahrheit Dauer und Unveränderlichkeit im Werden ebenso wie Einheit in der Vielheit voraussetzt.
Die Kosmogonie, das Weltentstehungsmodell, ist nur insofern intelligibel oder geistig abbildbar in Form eines eikṓs mýthos, eines einigermaßen gut wiedergebenden Mythos, der eine, zwar zwangsläufig mit reichlich Mängeln behaftete, aber durchaus noch brauchbare Abbildung der Wirklichkeit hergibt. Damit muss man sich zufriedengeben, mehr anzustreben ist zwecklos. Es ist sowohl offenkundig wie zwangsläufig aus der Bestimmung des platonischen Logos heraus, dass der Kosmos außerordentlich schön ist und insofern er als etwas Gewordenes bestimmt ist, auch nach platonischem Denken ein Abbild von etwas anderem sein muss. Und gleichzeitig folgt, dass er nicht Ursache seiner selbst sein kann, also einen Erzeuger (Beweger) haben muss, der ihn nach einem Muster geschaffen hat, und dass als sein Urbild nur etwas überzeitlich Seiendes, Ewiges, in Betracht kommen kann – autopoietische Systeme waren im antiken Griechenland noch kein Thema.
Die Frage, was als universelle Ursache oder als universeller Schöpfer gedacht werden muss, drängte sich auf dieser Basis geradezu auf und wurde von Platon mit der „Figur“ des Demiurgen, dem Schöpfergott, beantwortet. Nach Platon setzte der Schöpfer die Weltseele als belebendes Prinzip in den Weltkörper und ließ so den Kosmos als ein völlig autarkes Wesen entstehen, in der Logik der platonischen Schöpfungsgedanken als ein zwar erschaffenes Wesen, aber trotzdem als eine Gottheit. Wir sehen hier bereits zwei Beweger, zwei Gottheiten, den Demiurgen und die Weltseele im platonischen Denken am Werke. Da dieser Gott (Weltseele) alles, was er benötigt, um selbst den gesamten Kosmos zu erschaffen, auf vollkommene Weise in sich trägt und mit sich selbst im Einklang ist, nennt ihn Timaios einen „seligen Gott“. Die Weltseele schuf der Schöpfergott zeitlich schon vor dem Weltkörper, dem er sie nach deren Erschaffung einpflanzte. Bei der Erschaffung der Weltseele griff der Schöpfergott auf die zwei Grundprinzipien alles Seienden, das Sein (des Seienden) und das Werden zurück und mischte sie ordentlich. So entstand als eine „dritte Wesensform“ eine Mischform, welche die Qualität des ewigen, unteilbaren Seins mit der des Werdens, also der Vergänglichkeit und der Teilbarkeit verbindet. Bei diesem Mischvorgang musste der Schöpfergott die entgegengesetzten Naturen oder die gegensätzlichen Prinzipien „Selbes“ und „Anderes“ gewaltsam zusammenfügen, da beide so ohne weiteres sich nicht aufeinander zubewegen, weil sie als Komplementäre gedacht waren.
Viele Stellen im Timaios lesen sich rätselhaft und sonderbar bemüht und man fragt sich, warum Platon so viel Wert auf diese metaphysischen Ausführungen gelegt hat? Der Unterschied zum o. g. wissenschaftlichen Denken liegt sehr klar darin, dass Platon innerhalb der Fragen nach den „ersten Gründen“, nach den allgemeinsten Strukturen und Prinzipien des „Weltgeschehens“ nach dem alles verbindenden Sinn und Zweck der gesamten Realität bzw. allen Seins fragt. Das tun, wie wir gesehen haben, Wissenschaften nicht, besonders die Naturwissenschaften nicht. Das können sie nicht denken.
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